Guenther-Sandleben

Gegen Kapital und Nation

Bankenkrach Frühjahr 2023: Welchen Charakter hat die neue Finanzkrise?  Download

 Die große Flut   Coronabedingt wächst die Staatsverschuldung rasant an. Das könnte noch zu schweren ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen führen  jW vom 23.06.2020 Download

Spiel mit dem Feuer – wie Staaten ihre Zukunft verspielen (Stand: 2020) Download

Buch: Finanzmarktkrise - Mythos und Wirklichkeit. Wie die ganz reale Wirtschaft die Krise kriegt Download

Überproduktion und Krise  jW  12.01.2012 Hintergrund: Haben die ökonomischen Verwerfungen ihren Grund in einer »Ansteckung« der »gesunden Realwirtschaft« durch die in die Bredouille geratenen Finanzmärkte? Oder geht es doch um den Kapitalismus im Ganzen? Download

Ende der Krise in Sicht? (Stand 2010)           Download

Euro am Ende! Sozialismus, Heft 3-2012, leicht modifizierte Fassung Download

Arzt am Krankenbett des Kapitalismus
Zur Rolle der Politik in der Krise: jungeWelt 12.11.2011 / Thema/ Seite 10 Download

Kapitalistische Demokratie. Zur Politik des Kapitals in der gegenwärtigen
Krise (Stand: 2012) Download

Griechenland am Rande des Staatsbankrotts: Wie Papandreou den „nationalen Überlebens-kampf“ organisiert (Stand: 2010)  Download

Sparen – wozu eigentlich? (Stand: 2010) Download

Vor einem neuen Kondratieff? Über den Zusammenhang von „New Economy“, Neoliberalismus und einer ansteigenden langen Welle    Download


Zum Charakter der großen Wirtschaftskrise 2008

Ist der heutige Kapitalismus ein "finanzmarkt-getriebener Kapitalismus", dessen Finanzsektor Krisen hervortreibt, die dann auf die "Realwirtschaft" überspringen, wie häufig gesagt wird. Leben wir in einem aus den Fugen geratenen "Casino-Kapitalismus"?

Gegen die Auffassung, die Wirtschaftskrise sei ursächlich eine Krise des Finanzmarktes gewesen, richtet sich diese Rubrik.

Hier wird die Position vertreten, dass die Finanzmarktkrise von 2008 nur die auffällige Erscheinungsform einer allgemeinen Krise war, die ihre Ursache in den Widersprüchen und Gegensätzen der kapitalistischen Warenproduktion hatte. Man sollte jene Erscheinungsform nicht als Ursache nehmen.
Die Ursachen der Krise liegen - ganz allgemein betrachtet - in den Widersprüchen und Gegensätzen der kapitalistischen Akkumulation. Als Elementarform der Krise könnte man die Ware selbst ansehen, mit dem darin enthaltenen Gegensatz von Gebrauchswert und Wert, welcher schließlich zur Existenz des Geldes führt.

Die Ware muss verkauft werden, weil sie für den Verkäufer nur von Nutzen ist, sofern er ihren Tauschwert realisiert, um dann mit dem erzielten Geld die Ware seines Bedarfs zu kaufen. Verkauf und Kauf hat Marx als "Metamorphose der Ware" bezeichnet, mit den zwei Tauschoperationen: Ware - Geld als Verkauf und Geld - Ware als Kauf der gewünschten Ware. Beide Akte können zeitlich und geographisch auseinanderfallen. Hat der Warenproduzent seine Ware verkauft, ohne gleichzeitig seinen gewohnten Kauf zu tätigen, bleibt der Verkäufer der bislang gewünschten Ware auf seiner Ware sitzen. Marx nannte das die "Möglichkeit der Krise", eine sehr bedeutende Erkenntnis, weil die klassische politische Ökonomie diese Möglichkeit leugnete. Die Marxsche Kritik des "Sayschen Theorems" bildete einen Höhepunkt der Erkenntnis, wonach der Markt keineswegs harmonisch und gleichgewichtig verläuft, sondern Krisenelemente in sich birgt, die unter gewissen Umständen systematisch zu einem Auseinanderfallen von Warenzufuhr (Angebot) und Nachfrage führen.

Eine solche "Notwendigkeit der Krise" entsteht zunächst einmal durch den gegensätzlichen Charakter der Verteilung: Der warenproduzierende Kapitalist erzielt gewöhnlich einen Überschuss, weil die von ihm gekauften Arbeitskräfte einen höheren Wert schaffen, als sie ihm gekostet haben. Sein Mehrwert, wie Marx diesen Überschuss nannte, ist umso höher, je niedriger die Löhne sind. Notwendig wird die Krise, wenn die von den Kapitalisten angeeigneten  Mehrwerte nicht vollständig nachfragewirksam, also teilweise gespart werden. Nachfrage fällt aus, also Überproduktion von Waren samt aller Folgeerscheinungen.

Der Grund für die "Sparsamkeit" liegt gewöhnlich nicht an ihrem Konsumverzicht, sondern am Verzicht, die realisierten Werte erneut zu investieren, weil z.B. die Profitaussichten ungünstig sind,  Nachfragestockungen befürchtet werden, neue Sphären der Kapitalanlage, verbunden mit Extraprofiten, fehlen.

Man weiß: Der kapitalistischen Wirtschaft fehlt eine gesamtwirtschaftliche Planung. Die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige setzt sich im Nachhinein durch, gesteuert vom Wertgesetz. Branchen, die zu viel produzieren, werden durch Fall der Profitrate bestraft, andere wiederum erzielen höher Profite. Kapital wandert hin und her. In diesem Ausgleichungsprozess werden Waren zu Schleuderpreisen und andere zu überhöhten Preisen verkauft. Fehlinvestitionen sind die Folge. Beispielsweise müssen langlebige Wirtschaftsgüter erst nach Ablauf ihrer Lebenszeit ersetzt werden, während sie ihren Wert entsprechend ihrer Beanspruchung sukzessive verlieren. In die Zufuhr (Angebot) wandert ein stetiges Wertelement, die Nachfrage nach langleben Wirtschaftsgütern ist hingegen diskontinuierlich. Die Planwirtschaft könnte diese Disproportion ausgleichen, der Markt hingegen liefert Fehlsignale: Überinvestition während der Neuanschaffung langlebiger Wirtschaftsgüter, Unterinvestition währen der Phase der Überproduktion.
Der Krise ist der bedeutendste Teil eines Krisenzyklus, der aus mehreren Phasen besteht: Krise, Rückgang, Stagnation, Belebung, Prosperität, Überproduktion. Das Finanzkapital folgt dieser Bewegung.

Doch der Begriff Finanzkapital bedarf unbedingt einer Klärung, damit man weiß, was jeweils gemeint ist. Gewöhnlich wird leihbares Geldkapital darunter verstanden, also das Angebot von Krediten und darüber hinaus das bereits verliehene Geldkapital, das sich in Ansprüchen auf Geld, meist auf Rückzahlung und Zins niederschlägt. Marx hat diesen Teil als "fiktives Kapital" bezeichnet im Unterschied zum verleihbaren Geldkapital.
Hinzu kommt noch das Geldkapital, das ein Unternehmer besitzt, um damit die Elemente für die Produktion zu kaufen. Das Geld dient als Kaufmittel, im Gesamtprozess ist es die Geldform seines Kapitals, die es im Anschluss an das Warenkapital, das er verkaufen muss, entsteht. Nimmt der Unternehmer Kredit auf, so kann auch dieses "Fremdkapital" als Geldkapital fungieren. Die ökonomischen Formen sind also höchst verschieden, die sich unter dem Begriff des Finanzkapitals verbergen.
Auf den Finanzmärkten werden Wertpapiere verschiedenster Art gehandelt: Aktien, Anleihen, Devisen, Futures, Optionen etc. Solche Wertpapiere entstehen zunächst einmal aus den Bedürfnissen von Warenproduktion und Handel bzw. aus dem Bedürfnis des Staates, über seine Steuereinnahmen hinaus Geld auszugeben.
Die Aktien sind kein wirkliches Kapital. Sie repräsentieren Kapital, das in Unternehmen angelegt ist. Sie stellen fiktives Kapital vor. Auch die Unternehmensanleihe ist kein wirkliches Kapital; sie ist nur Anspruch auf Geld (Rückzahlung und Verzinsung), nicht aber das Geld selbst, das vom Kreditgeber an das Unternehmen fortgegeben wurde und hier als wirkliches Kapital fungiert.
Die Staatsanleihen erscheinen als jederzeit veräußerbares “Geldkapital”. Bei näherem Hinsehen besteht der Kapitalcharakter nur in der Kapitalisierung der vom Staat zu leistenden Zinszahlungen. Statt wirkliches Kapital zu sein, verbirgt sich hinter den Staatspapieren eine Schuld, in deren Höhe ein gleich großes Kapital vergeudet worden ist und der Anleihe als Nenner diente. Indem jemand solche Staatspapiere kauft, hat er nur Schuldforderungen auf den Staat gekauft, besitzt fiktives, illusorisches Kapital.
Dass Ausgabe und Handel von Wertpapieren mit Betrug einhergehen, bewies der Kapitalismus schon vor mehr als 200 Jahren. Hören wir dazu den Vater der politischen Ökonomie, Adam Smith:
„Die Südsee-Gesellschaft“, schreibt er in Wohlstand der Nationen, „verfügt über ein enormes Kapital, das sich auf ungewöhnlich viele Eigentümer (die sich, wie Smith meint, um das Geschäft selten kümmern würden) verteilte. Daher war durchaus zu erwarten, dass Torheit, Nachlässigkeit und Verschwendung in der Geschäftsführung allenthalben vorherrschen werden. Ihre schurkischen und überspannten Börsenspekulationen und Projekte sind weithin bekannt und weitere Ausführungen darüber würden unseren Rahmen sprengen.“
Ein Betrug besonderer Art ist die Staatsverschuldung. Hauptsächlich in Zeiten von Kriegen und Krisen nimmt das Verschuldungsbedürfnis des Staates derart zu, dass der Staat sich das Geld von seiner Notenbank holt und so systematisch Geldfälschung betreibt. Denn solche frisch gedruckten Banknoten stellen keine realisierten Warenwerte dar und dienen auch nicht als Kapitalvorschuss, um eine wirkliche Kapitalakkumulation einzuleiten. Der Staat nimmt dann nicht nur auf dem Kapitalmarkt neue Kredite auf, um alte Schulden zu begleichen (Schneeballsystem), sondern er lässt bei seiner Notenbank  Papierzettel als Banknoten drucken, mit denen er einkaufen geht.